Integrierte Gesamtschule in Stade ist kurz vor der Vollendung – Umbau des Schulzentrums Hohenwedel läuft seit acht Jahren (Bericht und Fotos von Lars Strüning)
STADE. Keine zehn Jahre nach der ersten Elternbefragung zur Integrierte Gesamtschule tummeln sich 1120 Schüler in 35 Klassen und 87 Lehrer im ehemaligen Schulzentrum Hohenwedel, das völlig umgekrempelt worden ist – und noch wird. Ein Hausbesuch.
Die Decke im großräumigen Forum ist ein einziges großes Loch. Im ganzen Schulgebäude belegt eine Patina aus Baustaub den Fußboden. Wände sind durchbrochen, um Fluchtwege zu neuen Außentreppen zu schaffen. Kabel hängen aus den Wänden. Keine Zweifel: Diese Schule ist ein Baustelle. Immer noch.
Kinder und Lehrer kennen es nicht anders. Seitdem im August 2010 die ersten gut 120 Schüler in den fünf 5. Klassen das Schulzentrum am Hohenwedel bezogen und damit die IGS gestartet wurde, beherrschen Handwerker die Szenerie. Jedes Jahr rückt ein neuer Jahrgang nach. 2018 ist es der 13. 2019 werden also die ersten Abiturienten entlassen.
Bauen im Bestand hat seine Tücken. Das Ursprungsgebäude der Hauptschule stammt aus den frühen 60er Jahren, in den 70er Jahren kamen Orientierungsstufe und Realschule nach. So musste der Brandschutz komplett erneuert werden. Die Stadt investierte fortlaufend, der Kreis beteiligte sich an den Kosten. So flossen über die Jahre 9,5 Millionen Euro in das alte Schulzentrum, um es zur IGS zu wandeln. Allein der Brandschutz verschlang bisher 1,3 Millionen Euro, die Mensa kostete 1,1 Millionen Euro. Für die Einrichtung der einzelnen Jahrgänge wurden 3,7 Millionen Euro aufgebracht.
Die ersten Jahre unterrichteten Hauptschule, Realschule und IGS parallel. Eine schwierige Situation und vielleicht die größte Herausforderung in der jungen Geschichte der IGS. Während die eine Schulform aufblühte und ihre nagelneuen Klassenzimmer beziehen konnten, wurden die anderen abgewickelt. Diese Entwicklung sozialverträglich zu gestalten, war nicht einfach, ist aber gelungen, sagt IGS-Leiter Jörg Moser-Kollenda – den Kollegen von Haupt- und Realschule sei Dank.
Zum Start galt die IGS als Exot, als Neuling in der Szene. Heute gibt es eine weitere Integrierte Gesamtschule in Buxtehude. Die Schulform ist anerkannt, sie gehört zum normalen Angebot der beiden Städte.
Dass die Eltern wählen können, findet Moser-Kollenda luxuriös. Seine Schule bietet den Kindern Unterricht in Jahrgangsbreichen an. Das heißt: Jede Klassenstufe hat ihr Revier mit einem zehnköpfigen Lehrerteam und eigenem Lehrerzimmer. Die Klassenräume sind mit elektronischen Tafeln, den Whiteboards, ausgestattet. Auf den Fluren sind Ecken für Gruppenarbeit eingerichtet, hängen die Jacken am Haken und liegen die Rücksäcke der Schüler. Ute Bruns, didaktische Leiterin der IGS, nennt das „die kleinen Schulen in der großen Schule“.
Die Klassen werden von einem Lehrertandem unterrichtet, idealerweise von einem Mann und einer Frau. An den Tischen sitzen starke und weniger leistungsfähige Schüler zusammen, Jungen und Mädchen gemischt. Sie erledigen gemeinsam ihre Aufgaben, die unterschiedlich schwer sein können. Die Tischgruppen treffen sich regelmäßig privat bei einer der Familien, dadurch werden die Eltern eingebunden.
Bis zur 8. Klasse gibt es keine Noten, sondern individuelle Lernerfolgskontrollen, in denen festgehalten wird, was der einzelne kann – und wo es noch Defizite gibt. Keiner bleibt sitzen oder muss die Schule verlassen. Alle Schulabschlüsse sind möglich.
Die 5., 6. und 7. Klassen essen gemeinsam in der gut 400 Plätze zählenden Kantine. Ab der 8. Klasse ist das freigestellt. Im Selbstlernzentrum, einer Bücherei mit Ruhe-Ecken und PC-Arbeitsplätzen, treffen sich alle Jahrgänge. Die IGS ist eine Schule gegen den Rassismus, arbeitet ganz selbstverständlich integriert, und ist als Ganztagsschule angelegt.
Es gibt eine gemeinsame Lernzeit anstelle von Hausaufgaben, die IGS nennt das „Segel“ – „selbstgesteuertes Lernen“, und ein buntes freiwilliges Angebot von Sport über Theater AG bis hin zum Malen oder der schnellen Hilfe in Mathe und Englisch. Wer Zeit hat, trifft sich auf einen Snack oder einen Schnack in der Cafeteria, die die IGS von der Realschule übernommen hat. Zufriedenes Fazit von Jörg Moser-Kollenda: „Auch wenn nicht alles nach Plan verlief, das Ergebnis ist super.“
Stader Tageblatt, 03.03.2018